Gerald Hüther zählt zu den führenden Hirn- und Lernforschern in Deutschland. In seinem neuen Buch, das er mit zwei Co-Autoren verfaßt hat, wirft er ein neues Licht auf unsere allgemeinbildenden Schulen und auf unsere Vorstellung von Bildung unserer Kinder.
Im Gespräch mit FOCUS Online sagte Hüther: „Wir überfrachten die Schule mit Erwartungen, die sie nicht erfüllt, ja überhaupt nicht erfüllen kann. Wir haben sie von einer Maus aufgeblasen zu einem riesigen Elefanten, der gerade Schüler wie Eltern und Lehrer niedertrampelt.“
Hüther sieht die Schule kritisch: eine ganzheitliche Bildung fürs Leben kann die Schule in ihrer heutigen Form gar nicht leisten:  
„Wir  halten die Schule für den Ort, an dem Kindern alles beigebracht wird,  was sie später für ein gelingendes Leben brauchen und schreiben ihr  damit immense Bedeutung zu. Dabei vermittelt Schule in ihrer jetzigen  Form keine der Fertigkeiten, derer es in der veränderten Welt von morgen  bedarf.“ 
Digitalisierung, Globalisierung und noch die Transformation der Wirtschaft beschleunigen sich noch. Das Umfeld in dem wir leben und kommunizieren verändert sich so schnell, wie noch nie zuvor.
Hüther geht in seinem Buch noch weiter: „Die Welt, für die unsere Schulen gemacht worden sind, existiert nicht mehr.“
Oft schieben Eltern und Erziehungsberechtigte zu viel Verantwortung zu   den Schulen, die die Erwartungen systembedingt gar nicht erfüllen  können.  In der Schule kann nur das unterrichtet und gelehrt werden, was sich  mittels Belohnung und Bestrafung vermitteln lässt. Für dieses Ziel  werden Lehrkräfte und Erzieher ausgebildet und eingesetzt. Reiner  Wissenserwerb in diversen Fachrichtungen und soziales Verhalten gehören  dazu. 
 Das Finden und Entwickeln von besonderen Talenten und Neigungen lässt  sich aber über das Lob-Tadel-System nicht bewerkstelligen. Dies ist nur  über eine freie ungezwungene Betätigung, über das Spiel möglich.  Wenn  man Kinder dabei beobachtet, kann man oft sehen, wo ihre Begabungen  liegen. 
Hüther plädiert als Neurobiologe für eine Stärkung der sogenannten exekutiven Frontalhirnfunktionen. Andere Kompetenzen zählen:
- Handlungsplanung
 - Impulskontrolle
 - Frustrationstoleranz
 - Verantwortungsgefühl
 - Empathie
 - Selbstreflexionsfähigkeit
 - Offenheit für neue Erfahrungen und Beziehungen.
 
All diese Fähigkeiten erlernt das Kind eher in der sozialen Interaktion. Sie sind für ein erfolgreiches Leben in einem sozialen Umfeld besonders wichtig.
Die Schulen eignen sich, Schüler fachlich weiter zu qualifizieren und für Berufe auszubilden. Die Erkenntnis, dass ein Beruf notwendig ist, und die Basis für ein erfolgreiches Leben, muss das Kind, der Jugendliche in einem ganzheitlichen Kontext erlernen und verstehen. Dieses Wissen lässt sich aber nicht mit Zensuren bewerten.
Starre vom Kultusministerium vorgegebene Lehrpläne und Lernvorschriften erzeugen nach Hüther immens viel Druck bei Kindern und Jugendlichen und behindern sie nach seiner Auffassung in ihrer freien Persönlichkeitsentwicklung. Hüthers Fazit: Die Bildung der Zukunft sollte ihr Schwergewicht von der Schule auf das ganzheitliche Lebensumfeld von Kindern verlagern.
Gerald Hüther, Marcell Heinrich, Mitch Senf
#Education for Future
Bildung für ein gelingendes Leben
Hardcover mit Schutzumschlag | 320 Seiten | 13,5 x 21,5 cm | ISBN:978-3-442-31550-5 | 1. Auflage:  17. Februar 2020 | Goldmann-Verlag | Preis: 22,00 € inkl. Mehrwertsteuer | Buch bestellen
