Dorothée Munyaneza präsentierte zum Festival TANZ IM AUGUST ein sehr aufrührende und dramatische Eigen-Produktion, die sich mit einem fast vergessenen, unbequemen Thema afrikanischer Geschichte beschäftigt: dem Genozid in Ruanda, der jetzt vierzehn Jahre zurück liegt. Während nur drei Monaten, vom April bis Juli 1994, wurde die Volksgruppe der Tutsi zu nahezu 80% von der regierenden Hutu-Mehrheit förmlich ausgerottet. Nahezu eine Million Menschen starben dabei auf grausamste und bestialischste Weise, und wurden bei lebendigen Leibe mit Macheten zerhackt, verstümmelt und verbrannt.
Dorothée Munyaneza, die selbst als 12jährige den Völkermord miterlebt und wundersamerweise überlebt hat, erzählt die Geschichte der ruandischen Frauen, die in dieser Zeit Vergewaltigungsopfer wurden.
Sie erzählt und performt als Tänzerin und Vocalistin die Geschichte so authentisch, dass man den Eindruck gewinnen könnte, sie selbst könnte eins dieser Opfer gewesen sein, die seit dieser Zeit von grausamen, zermarternden inneren Stimmen verfolgt werden.
Die Performance ist vorwiegend ein Solostück, begleitet von der akustischen Untermalung von der afro-amerikanische Musikerin Holland Andrews und dem Komponisten Alain Mahé. Nur kurz vor Schluss tritt Holland Andrews aus dem Schatten der Bühne in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit.
Inszenierung des seelischen Echos von Schrecken und Leid
Die Vorstellung beginnt mit einer eingespielten Radioaufnahme in Kinyarwanda, sie versetzt den Zuschauer abrupt in das damalige Geschehen in Ruanda. Parallel dazu übersetzt die Künstlerin die Berichte der Frauen von den Schreckenstaten, die ihnen widerfahren sind, mit Schnappatmung und in ebenso ergreifendem Ton. Es ist ein Rücksturz in das Ruanda von 1994.
Das Grauen ist überall, als sie vor das Mikrofon auf die Bühne tritt, spielt sie die Rolle einer Frau, die von Mördern ihrer Familie missbraucht, vergewaltigt und schließlich schwanger wurde. Mit Lautmalereien, schrillen akustischen Begleittönen und donnernder Hintergrundmusik drückt sie die unvorstellbare Grausamkeit und Verzweiflung der Frauen während des Genozids aus.
Eine überdimensionale Frauenfigur aufgemalt auf Wellblech thront über der Bühne, die Performerin bewegt sich auf diese Figur zu und kratzt an ihren Kleidern, zerrt den aufgeklebten Rock von der Malfläche bis nur noch Fetzen übrig bleiben. Das Symbol der Frau beschmutzt? – Die Ehre der Frau zerstört.
Dorothée Munyaneza sagt in einem Interview: „Ich interessiere mich für die Gewalt, die der menschliche Körper ertragen kann, und speziell der weibliche Körper. Was geschieht mit ihm in der Zeit von Konflikten und Massakern?“
Diese Frage beleuchtet die Künstlerin während ihrer Performance von unterschiedlichen Perspektiven. Immer wieder ertönen Radioaufnahmen, werden dramatische Klangkompositionen kreiert, donnernde Schläge, die an den Widerhall von Todesschlägen erinnern.
Dramatische und bewegende Performance
Dorothée Munyaneza zeigt die eigene Abscheu, die die Vergewaltigungsopfer vor sich selbst empfinden und vor den Kinder, die sie aus der Gewalttat heraus gebären mussten, in denen sie nur das Sinnbild der Ohnmacht, des Grauens und des Todes sehen können. Die Künstlerin gibt auch den Überlebenden aus dem Umkreis der Vergewaltigten eine Stimme, die in diesen Kindern eine Beschmutzung des Opfers selbst sehen.
Tanzeinlagen sind spärlich in dem Stück, doch gezielt gewählt, und unterstreichen die Stimmung, die sich verbreitet. Ruckartig, geduckt bewegt sich die Darstellerin auf der Bühne, dann folgen wieder Spracheinlagen. Erst später legt sich die aufgewühlte Stimmung. Die Bewegungen werden sanfter und ruhiger. Die Zeit hat einen weichen Schleier über die Wunden, die körperlichen und seelischen, der gepeinigten Frauen gelegt.
Äußerlich scheint sich nun alles zur alltäglichen Normalität zu wenden. Die zweite Darstellerin, Holland Andrews tritt ins Rampenlicht. Gemeinsam mit Dorothée Munyaneza wechseln sie die Kleider, geben sich Alltagsbeschäftigungen hin, wie dem Getreidemahlen. Beim Stampfen der Körner erheben sich die Stimmen erneut aus dem Unterbewusstsein. Die dumpfen Schläge steigern sich ins Unermessliche. Parallel öffnet die Akustik die Tore zu den inneren Welten der Frauen: schrillen, quietschende, selbst für das Publikum fast unerträgliche, Geräusche ertönen und geben die Konflikte wider, die sich in den Herzen der Opfer eingebrannt haben und dort unverändert weiter wüten.
Zum Schluss tritt die Künstlerin wieder vor die Bühne ins Pubikum und übersetzt wieder eine Radioaufnahme. Die Frauen haben wieder Mut geschöpft, sie sammeln ihre Kräfte und wollen ihr Leben jetzt selbst in die Hand nehmen: „Ich baue mein Haus alleine auf, kein Mann ist dafür nötig, ich kann es selbst.“ sagt die Stimme im Radio in Kinyarwanda. Bitterkeit hat die Verzweiflung abgelöst und gleichzeitig auch eine Anklage an das andere Geschlecht. Der neue Kampfesmut gibt die Kraft weiterzuleben, die Stimmen in ihrem Kopf verstummen jedoch nicht. Sie werden die Frauen wohl ihr ganzes verbleibendes Leben peinigen.
Eine sehr berührende Geschichte und Vorstellung von einer mutigen Tänzerin, die auf einen großen Beifall des Tanzpublikums traf, und die Künstlerin selbst zu Tränen rührte.
Über die Künstlerin
Dorothée Munyaneza ist in Ruanda geboren und lebte seit ihrem 12. Lebensjahr in London. Sie ist Sängerin, Autorin und Choreografin. Sie stellt Fragen zum Völkermord der Tutsi in Ruanda und die Gewalt, die den Frauen dabei angetan wurde. Im Jahr 2004 komponierte sie die Filmmusik zu „Hotel Rwanda“ von Terry George.
In ihren Performances kombiniert sie Musik mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen, wie dem Tanz, der Lyrik und Performance in-situ.
Seit 2011 lebt sie mit ihrem Mann und einem Kind in Marseille. Ihr erstes Stück zum Genozid in Ruanda SAMEDI DETENTE zeigte sie im Jahr 2014 erstmalig im Theater von Nimes. Das zweite Stuck UNWANTED erlebt seine Uraufführung im Juli 2017 während des Festivals von Avignon.