Samstag, 20. April 2024
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Geheimrath Dr. Dettweiler’s Taschenflasche für Hustende und die Kunst des Gurgelns

Blauer Heinrich von 1889

Kolumne: Michael Springer

Jede Zeit und jede Not hat ihre Innovationen, die sich als nützlich erweisen können. – In der aktuellen weltweiten Corona-Pandemie lohnt es sich, nicht nur über Apps, digitales Streaming und Marketing, sondern auch über die Geschichte und Medizingeschichte und historische Seuchenbekämpfung zu unterhalten.

Vor allem im Neunzehnten Jahrhundert hatten Schwindsucht und Tuberkulose den Status einer Pandemie in ganz Europa. Noch bis heute ist die Tuberkulose in der Statistik der weltweit verbreiteten tödlichen Infektionskrankheiten ganz vorn – mit Millionen Toten.
Die Entdeckung des Erregers Mycobacterium tuberculosis durch Robert Koch war 1882 ein Meilenstein der Medizingeschichte in Berlin.

Etwa fünf bis zehn Prozent der mit Mycobacterium tuberculosis Infizierten erkranken tatsächlich im Laufe ihres Lebens. Besonders sind Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder genetisch bedingter Anfälligkeit gefährdet.
Die Übertragung der bakteriellen Erreger erfolgt genau wie bei den wesentlich kleineren Sars-Covid-19-Viren durch Tröpfcheninfektion. Sind auch Keime im Auswurf (Sputum) nachweisbar, spricht man von offener Tuberkulose. Bei Nachweis in anderen äußeren Körpersekreten spricht man von potentiell offener Tuberkulose.
Die Ansteckung geschieht vor allem durch Husten, wobei ein infektiöses
Aerosol verbreitet wird.

Luftkuren als Heil- und Kurortkonzept

In der Schweiz wurde der deutschstämmige Arzt Alexander Spengler (1827–1901) zum Pionier der Luftkur. Seit 1853 praktizierte er als Landarzt in Davos und kam zu der Überzeugung, dass das Hochgebirgsklima besonders heilsam war. Nach Veröffentlichung der Theorie wurden seit 1860 die ersten Kurgäste in einer Davoser Pension aufgenommen, die sich hier einer der Liegekur im Freien unterzogen. Nach 1868 entwickelte sich Davos mit der ersten Kuranstalt von Alexander Spengler und Willem Jan Holsboer zum Luftkurort. Mehrere Lungensanatorien entstanden und Patienten kamen aus ganz Europa hierher. Unter ihnen auch viele Prominente.
Heute wissen wir: das Tuberkulose-Bakterium verliert seine hohe Ansteckungsfähigkeit durch Sedimentation, Durchlüftung und natürliche UV-Lichtquellen, sowie Ozon.
Lungenheilstätten entstanden seitdem in ganz Europa und manche von Ihnen, wie Beelitz-Heilstätten, erlangen heute als Ruine neue Bekanntheit.

Die Spuckflasche als Hygienetechnik

Im Taunus praktizierte Geheimrath Dr. Peter Dettweiler als Leiter der Lungenheilanstalt Falkenstein. 1881 errichtete er die erste deutsche Heilstätte für unbemittelte Lungenkranke und löste eine Woge der „Heilstättenbewegung“ aus. Dettweiler baute die von Hermann Brehmer propagierte Liegekur zur Therapieform aus. Den Patienten waren als einzige Aktivitäten in dieser Zeit nur Lesen, Schreiben und leise Gespräche gestattet – eine Form der sozialen Distanzierung, wie wir heute sagen.

Mit der Erfindung der „Taschenfläschchen für Hustende“ löste er ein lästiges Problem, weil die Verbreitung von Tuberkulose über Husten und Spucken begrenzt wurde.
Geheimrath Dr. Dettweiler’s „Taschenfläschchen für Hustende“, auch Blauer Heinrich genannt, fand noch viele Nachahmer, die auf einer Themenseite zu finden sind.
Luftkuren und Freiluftliegekultur begründeten den Erfolg vieler Heil- und Kurorte, die noch heute als Luftkurorte touristisch sehr relevant sind.

Haben unser Ur-Urgroßväter und Vorfahren damit indirekt auch ein Konzept gegen die Corona-Pandemie entwickelt? Ist es besser, Infizierte und Erkrankte in Luftkurorte zu verschicken, statt die Wirtschaft komplett durch Isolationsstrategien und Social Distancing lahmzulegen?

Japan und seine Hygienekultur als Erfolgsrezept gegen Corona?

Schützt ständiges Wassertrinken vor einer Coronainfektion? – so warnte am 14.03.2020 SPIEGEL Gesundheit vor vermeintlich falschen Gesundheitstips und legte eine falsche Spur: „Hat es das Virus in den Mund geschafft, ist es zu spät.“
In Japan schützt die traditionelle Hgiene-Kultur vor einer Ausbreitung und Übertragung von Corona. Der Shintoismus lehrte, dass mindestens 8 Millionen Gottheiten in Alltagsgegenständen leben und dass diese Gottheiten Unreinheit verabscheuen. Das förderte die Kultur der Körperhygiene. Im Shintoismus dienen rituelle Reinigungen nicht nur der Hygiene sondern auch der Vorbeugung von Infektionskrankheiten. Das Shinto-Konzept von Sauberkeit und Reinlichkeit wurde zur Kultursitte.
„Wenn du nach Hause kommst, dann wasche dir bitte zuerst deine Hände und gurgele!“ – dieser Brauch ist in Japan vermutlich schon seit der Heian-Zeit (ca. 794-1185) üblich.
Ugai: die Kunst des Gurgelns kennt zwei Arten:
„Bukubuku“: Wasser wird geschlossenen Mund herumgewirbelt. indem die Wangen aufgeläht und zusammengezogen werden.  
„Garagara“: Wasser wird in den Mund aufgenommen, dann geht der Blick nach oben, die Lippen werden göffnet, Luft wird ausgestoßen, wobei Gurgel-Geräusche gemacht werden.

Diese Art des Gurgelns dient der Reinigung des Rachens und wird ausgeübt, nachdem man draußen war oder wenn sich der Rachen trocken anfühlt. Schmutz- und Staubpartikel, sowie Viren werden aus dem Rachen entfernt. zu entfernen. Auch weitergehenden Infektionen und Erkältungen kann so vorgebeugt werden. Ugai mit salzigen Kräutern, Minze, Menthol und antibakterielles, reinigendes Teebaumöl, sowie erfrischendes Meersalz und grüner Tee sorgen für eine angenehmen Geschmack.

Ugai: die Kunst des Gurgelns verhindert auch die Ausbreitung von infektiösen Tröpfchen

Japan ist heute auch Vorbild für die notleidenden Bars und Kneipen in Berlin, die durch Restriktionen vor dem Aus stehen: Japan hat sein Ziele zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ohne einen völligen Lockdown und scharfen restriktiven Beschränkungen des Alltags für die Bürger gemeistert. Ein Kurs, der in weiten Teilen auf Freiwilligkeit setzte. Es gab keine Ausgehverbote, keine Corona-Warn-App. Geschäfte, Friseure, Hotels und Bars und Gastronomie durften geöffnet bleiben.