Von Michael Springer
Das Verb digitize taucht im englischen Sprachraum 1953 erstmals auf, digitization im Jahr 1954. Seit Mitte der 1980er Jahre wurde der daraus abgeleitete Begriff der „Digitalisierung“ in Deutschland verwendet.
Inzwischen hat sich der Begriff Digitalisierung von der ursprünglichen Bedeutung (Umwandlung von analogen in digitale Datenformate) gewandelt, und wird fast ausschließlich (und zunehmend unbestimmt) im Sinne visionärer Megatrend-Definitionen verwendet, die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Veränderungen in allen Lebensbereichen und allen Bereichen wirtschaftlicher Arbeitsteilungen und in allen Infrastrukturbereichen voran treiben.
Im Gefolge vieler medialer und digitaler Innovationen tauchen politische Begriffsbildungen auf, die zu Trends und Innovations-Strategien aufgeblasen, aufgebauscht und mit Marketing-Tricks „gehyped“ werden. Folglich kann auch aur ein kleiner Teil dessen, was als Trend oder „Megatrend“ gehandelt wird, eine nachvollziehbare und systematische Begründung vorweisen.
Es geht um Visionen, die Erwartungen erschaffen, die in Pläne, Businesspläne und „Pitch Decks“ umgewandelt werden können, um gewinnversprechende Investitionen und Gewinnpläne absichern zu können.
Futorologen, ThinkTanks, Stiftungen und Speaker:innen treiben dabei vor allem Trends und Visionen auf Publikumsmärkten an. In der Soziologie und Makrosoziologie wird mit Umfragen, Statistiken und strukturalistischen Methoden nach den Folgen und Wirkungen auf das soziale Kapital der Gesellschaft geforscht.
„Broken concepts“ & „Broken Synergies“ der Stadtgesellschaft
Institute wie das Weizenbaum Institut erforschen die „Vernetzte Gesellschaft“ und etablieren damit ein neues Gesellschaftsmodell, das kommunikativ-digitalen Syndikalismus propagiert, der aber auch mit vielen schädlichen Nebeneffekten verbunden ist.
Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) beobachtet und erforscht die Entwicklung des Internets aus einer gesellschaftlichen Perspektive, um die damit einhergehende Digitalisierung aller Lebensbereiche besser zu verstehen. Dabei wird eine grundlegende gesellschaftliche Transformation als „gegeben“ angenommen. In der Folge müssen „broken concepts“ zwischen analoger und digitaler Welt erkannt und erforscht werden.
Zu den „broken concepts“ zählen die in der analogen Welt entwickelten Rechte, Menschenrechte und Bürgerrechte, die bei der Übertragung in die digitalen und medialen Welten „transformiert“ oder per Choicebox freiwillig abgetreten werden.
Mit zunehmender Komplexität wird die Digitalisierung selbst zum „broken concept,“ das immer mehr Disparitäten und komplexe ökonomische und mikroökonomische Folgewirkungen generiert. — In der Erwerbsökonomie, Betriebswirtschaft und in der Volkswirtschaft entstehen auch direkte, indirekte und lange Zeit unsichtbare Folgewirkungen und „Rebound-Effekte“. — In der Vielzahl, in der Diversität und Komplexität und in den finanziell messbaren Summen können sich zerstörerische Wirkungen entfalten.
— Visionen, Konzepte und Projekte können daher auch ganz elementar scheitern.
Sogar die gesamte volkswirtschaftliche Dynamik kann dabei einfrieren, oder sich umkehren:
Aus Wertschöpfung wird Daten- und Kapitalexport generiert, und Innovationen bekommen plötzlich „Burn-rates.“ — Beim stationären Handel ist es längst so weit, bei Lieferdiensten wird die Gewinnzone unerreichbar, und bei Mikromobilitätskonzepten will die große Skalierung nicht gelingen.
Urbanisierung kippt in Downgrading- und Shrinking-Prozesse der Stadtzentren und es zeichnen sich neue Prozesse der Landflucht und De-Urbanisierung ab, die den Planeten zerstören.
Smart-City-Projekte: Vom Hype zum Rohrkrepierer?
Das Konzept der „Smart City“ entstand in den frühen 2000er Jahren als Trendthema und neue Strategie für die Gestaltung von Städten, die digitale Technologien und Innovationen integrieren. Infrastruktur und die Dienstleistungen sollen danach für die Bürger optimiert, verbessert und effizienter gemacht werden.
Rio de Janeiro begann damit 2009 — und errang den World Smart Cities Award 2013. Die Rio-Strategie konzentrierte sich auf Sicherheit, Katastrophenschutz und -management sowie Informationsfreiheit durch offene Daten.
Danach verbreite sich der Begriff „Smart City“ immer weiter und prägt inzwischen auch die nationale und europäische Politik zur Entwicklung des Städte und Kommunen. Der Begriff ist wurde so populär, dass ihn viele Verwaltungen ihn als Marketinginstrument für ihre Stadtplanungs- und Innovationspolitik nutzen.
Doch inzwischen mehren sich die Anzeichen: trotz des vielversprechenden Namens gelten Smart-City-Projekte zehn Jahre nach dem ersten Experiment heute in den meisten Fällen als gescheitert oder stehen bei ihrer vollständigen Umsetzung vor grundlegenden praktischen und ethischen Problemen.
Am 8. Mai 2020 scheiterte die „datenzentrierte Smart City“ in Kanada. Das Datum ist in der Geschichte der Digitalmoderne heute ein bedeutendes Datum. An diesem Tag verkündete Dan Doct“oroff, Chef von „Sidewalk Labs“, sein größtes Projekt aufzugeben – den Bau einer „Smart City“ in Toronto. Die geplante datengesteuerte SmartCity sollte zeigen, wie die Zukunft der Stadt aussieht. Sidewalk hatte als Städtebau-Abteilung des Google-Mutterkonzerns offenbar gravierende Erkenntnisse gewonnen, die den Projektabbruch angeraten haben.
Heute ist man vorsichtiger geworden, und denkt im Kategorien von Technologien zur Transformation von Städten in Bezug auf Nachhaltigkeit, Resilienz und soziale Gerechtigkeit.
Offenbar wurden zu viele Erwartungen in das Wort „Smart“ aggregiert. Der Wunsch, digitale Technologien zu nutzen, hat zeitweise von dem anderen grundlegenden Aspekten der Stadtentwicklung und Urbanisierung abgelenkt.
Kultur, Vision, Bewusstsein, und der gemeinsame Wille, die städtische Umwelt für die Bürger einfacher und lebenswerter zu gestalten, sind heute für eine Umgestaltung der Städte von grundlegender Bedeutung. Dafür können bewußte Gemeinschaften vor Ort nur entstehen, wenn es transparente und öffentliche Pläne, Entwürfe und allgemeingültige Informationen und Presseinformationen gibt.
In Berlin droht das ambitionierte öffentlich finanzierte Digitalisierungsprojekt und auch die Smart City Berlin zu scheitern, weil es ganz neue, ganz andere, modernere, interdimensionale und interdisziplinäre Ursachen als in Toronto gibt, z.B.:
- Bauen, Wohnen, Mieten verteuern sich, weil es eine wachsende Kapitaldynamik gibt.
- E-Commerce verdrängt gänzlich den mittelständischen stationären Handel.
- Lieferdienst-Startups verdrängen Gastronomie und schaffen einen Verpackungsmüll-Boom.
- Erwerbsarbeit und Erwerbsdynamiken verändern sich, Fachkräfte werden rar.
- Vielfalt, Diversität und Komplexität verändern Marktskalierungen und Selbsttragfähigkeiten.
- Soziale Seggregation verstärkt sich, mit Armutseffekten und Bildungsverlust.
Diesen Ursachen ist nur auf die Spur zu kommen, wenn das bisher übliche „Paradigmen-System“ der Digitalisierung und auch die alltägliche „Digitale Praxis“ kritisch und vor allem ökonomisch hinterfragt wird.
Untersuchungsmethode: SmartCity-Gaps & Needs
Mit einer „Strategie der rechtskonformen Digitalisierung“ wurde ein neues SmartCity-Konzept aufgebaut, das auf Grundrechte und freie wirtschaftliche Entfaltung baut, und dabei system- und zukunftsoffen mediale-digitale Entfaltungsfreiheiten und technologieoffene Systeme und Supereffizienzen fördern kann.
Ausgangsposition war die systematische Analyse und Systemanalyse des weltweiten Phänomens, das unter dem Begriff „Lokalzeitungssterben“ und „Zeitungswüsten“ subsumiert wird.
Ausgehend von rund 800 Jahren europäisch geprägter Wirtschafts- und Stadtentwicklung, wurde die auf humanen Rechten, Strukturen und regelbasierten Märkten und sozialen Interaktionen aufgebaute Urbanisierung als „zivilisatorisches Vorbild“ betrachtet. Mit der an analoge Rechtsnormen und Regeln angepaßten und sorgsamen Strategie der „Transnormierung“ und „Erhaltung“ unsichtbarer Rechte, wurde eine ganz neue und humane Roadmap aufgelegt. Die geplanten medial-digitalen Innovationen und die Digitalisierung werden für systemische und synergetische Innovationsstrategien nutzbar gemacht.
Dabei werden alle 17 UN-Nachhaltigkeitsziele beachtet, und systemisch und transaktionsökonomisch in IKT-Technologien integriert.
Seit 2017 gibt es in Berlin 12 smartmobile Bezirkszeitungen, die 891,8 Quadratkilometer Stadtgebiet Berlins abdecken, und etwa 4 Mio. Einwohner und Gäste der Metropole Berlin adressieren können. Von Anfang an wurde auf eine SocialMedia-Präsenz verzichtet, weil damit unsteuerbare Kommunikation und zahlreiche Informationsbedarfe in eine Redaktion hineinwirken – die eine Selbsttragfähigkeit verhindern.
In der Summe entstünden dabei auch unwirtschaftlich hohe Systemkosten und Personalkosten, die den weltweit bekannten Ursachenkomplex des „Redaktionssterbens und Lokalzeitungssterbens“ verursachen.
Die selbsttragfähige Wertschöpfung der 12 smartmobilen Bezirkszeitungen beruht auf inklusiver, fairer und auskömmlicher Wertschöpfung in allen Redaktions- und Publikationsprozessen.
Der Spielraum des Lokaljournalismus wurde schrittweise erweitert. Ideen und Konzepte der Digitalisierung für lokale Pressemedien wurden radikal vereinfacht:
- es gibt keine Log-ins für Leser,
- Abo-Paywalls für Leser sind abgeschafft,
- es gibt ein völlig offenes „Anzeigensystem“ für lokale Pressemedien,
- alle Payment-Lösungen sind „vor der Redaktiontür“ zu regeln.
- Media-Budgets werden zur Voraussetzung für lokalen Journalismus.
Ziel war es, in jedem Berliner Bezirk eine inklusive allgemeinöffentliche Medienebene zu schaffen, die alle Vorteile von OpenData, OpenAccess4All und OpenVisibility4All und offenen Internet aktivieren kann, um eine Syntegration von offener Gesellschaft und Offener Redaktioneller Gesellschaft auf die Sprünge zu helfen.
REAL LABOR für pressefreie Lokalmedien
Ein weltweit einzigartiges REAL LABOR für pressefrei funktionierende Lokalmedien und für PublicTech, für Public-Economies und Citizenship-Ökonomien ist dabei entstanden.
Ganz ohne öffentliche Förderung und ohne staatlichen Einfluss — abgesehen von mannigfaltigen Hindernissen, die bewußt und unbewußt im Rahmen der Digitalisierungsagenda gesetzt wurden.
Mit der Untersuchungs-Methode der SmartCity-Gaps & Needs können viele Mängel und Rebound-Effekte in SmartCity-Konzepten analysiert, gemessen und mit mikroökonomischen Methoden bewertet werden.
Vor allem ein Themenkomplex schält sich dabei aus der Komplexität der Medien- und IKT-Technologien heraus: die „medial-digitale und energetische Blindleistung“ der heutigen Internet-Technologien und IKT-Systeme. — Schon jetzt ist eine finanziell messbare Größenordnung von 400 €/Einwohner/Jahr in Berlin über ausgewählte Business-Cases abschätzbar, bzw. hochzurechnen.
Digitalökonomische Stillstandseffekte in Berlin, in Stadtzentren allgemein und bei konkurrierenden Standorten und SmartCity-Technologien werden damit betrieblich und makroökonomisch erklärbar.
Beitragsreihe SmartCity-Gaps & Needs: modellhafte Fehlentwicklungen in SmartCities – Start: 5.11.2023
Kontakt: info@info@europress-aisbl.eu