Dienstag, 23. April 2024
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Leitlinien für die Bürger_innenbeteiligung in Tempelhof-Schöneberg

Bürgerbeteiligung

Das Land Berlin hat in einem aufwändigen, mehrjährigen Beteiligungsprozess Leitlinien für die Bürgerbeteiligung und ein Umsetzungskonzept erarbeitet, welche auf der Internetseite von Berlin einsehbar sind.
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg macht sich jetzt auf den Weg, diese landesweiten Leitlinien für die Bürger_innenbeteiligung (LLBB) im Bezirk umzusetzen. Für die bestehenden und eventuell neu zu entwickelnden Beteiligungsmöglichkeiten, die nicht gesetzlich geregelt sind, soll ein gemeinsamer, verbindlicher Rahmen geschaffen werden.
Eine Arbeitsgruppe, die sich aus je sechs Bürger_innen, Vertreter_innen von Vereinen und Einrichtungen, Verwaltung und Politik zusammensetzt, wird sich ab Mitte August regelmäßig treffen und die Grundsätze und Umsetzungsinstrumente der Beteiligung diskutieren und formulieren.

Für diese Arbeitsgruppe werden aktuell interessierte Bewohner_innen und Vertreter_innen der organisierten Zivilgesellschaft aus Tempelhof-Schöneberg gesucht, die Zeit und Interesse haben, an dieser Arbeitsgruppe teilzunehmen. Bei Interesse kann man sich gern als Mitglied der Arbeitsgruppe per Online-Anmeldeformular bewerben. Wenn mehr Bewerbungen eingehen als Sitze vorhanden sind, wird per quotiertem Los ausgewählt. Bewerbungsschluss ist der 18. Juli 2021.

Jörn Oltmann, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen sagte dazu:

„Ich freue mich sehr, dass wir mit dem Einstieg in die Diskussion zu den Leitlinien für Bürger_innenbeteiligung die Beteiligungskultur im Bezirk stärken und mehr Transparenz schaffen werden. Der Arbeitsgruppe wünsche ich gutes Gelingen.“

Wer sich im persönlichen Gespräch über den Prozess informieren und der Arbeitsgruppe wichtige Impulse mit auf den Weg geben möchte, hat dazu an den folgenden Terminen und Orten die Gelegenheit:

Schöneberg: Steinmetzstraße 68, 10783 Berlin
Freitag, 9. Juli 2021, 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr

Tempelhof: Tempelhofer Hafen, Tempelhofer Damm 227, 12099 Berlin
Sonnabend, 17. Juli 2021, 11:00 Uhr bis 15:00 Uhr

Lichtenrade: Bahnhofstraße (Höhe Bahnhofstraße 27), 12305 Berlin
Sonnabend, 24. Juli 2021, 9:00 Uhr bis 13:00 Uhr

Informationen und Möglichkeiten zur Stellungnahme werden im Laufe des Prozesses auf der Beteiligungsplattform mein.berlin eingerichtet:

Leitlinien der Bürger_innenbeteiligung Tempelhof-Schöneberg auf der mein.berlin-Internetseite (erreichbar ab dem 8. Juli 2021)

Kontakte:
Stellvertretender Bezirksbürgermeister und Stadtrat für Stadtentwicklung und Bauen
Jörn Oltmann: Telefon: (030) 90277-2261

Organisationseinheit Sozialraumorientierte Planungskoordination (OE SPK)
Jens Eismann: Telefon: (030) 90277-6763

Kontakt für Rückfragen zum Verfahren und für die Interessenbekundung:

Zebralog GmbH | Oranienburger Straße 87/89 | 10178 Berlin
Keno Franke: Telefon: (030) 2218265-32 | Mail: franke@zebralog.de


Berliner Beteiligungsverfahren ist verfassungswidrig geregelt

Kommentar: Michael Springer

Die Leitlinien für die Bürger_innenbeteiligung (LLBB) sind von der Anlage her und in der Praxis verfassungswidrig geregelt. Es fängt mit dem Prinzip der internetöffentlichen Einladung an, die in der Regel nur kleine direkt interessierte Gruppen erreicht, aber große Teile der Einwohner und Betroffenen im Plangebiet nicht erreicht. Gearbeitet wird dann mit „eingeladenen Öffentlichkeiten“ und einer „Veröffentlichungsfiktion“.
Gegenüber amtlichen Beteiligungsverfahren nach BauGB mit Pflichtveröffentlichungen, hat die Praxis der „eingeladenen Öffentlichkeiten“ den Systemnachteil, dass sich im Verfahren lokale Mehrheiten von „Pressure-Groups“ bilden.
Im Ergebnis werden viele baureife städtebauliche Verdichtungen und Wohnbauvorhaben um mehrere Jahre verzögert oder ganz verhindert. Direkt unter Wohnungsnot leidende Betroffene haben in der Regel keinen Zugang zu den Verfahren, weil sie sich nicht gleichzeitig an vielen parallelen Verfahren beteiligen können, und auch keine „Vorrats-Voten“ für künftig geplante Bauvorhaben abgeben können.
Die internen Vorgänge und Meinungsbilder aus den Beteiligungsverfahren bleiben überwiegend nichtöffentlich. Ob notwendige Abwägungsgebote eingehalten werden, ist nicht klar erkennbar.
Grob verfassungswidrig: es gibt keine Presseöffentlichkeit. Planende Verwaltung, Moderation und eingeladene Bürger bleiben unter sich. Niemand ist beauftragt Presseöffenlichkeit herzustellen.
Planende Verwaltung und beauftragte Moderation können Verfahren ohne neutrale Checks & Balances steuern.
Vor allem werden Beteiligungsverfahren oft nur mit kleinen zwei- und dreistelligen Teilnehmerzahlen durchgeführt, deren Einwände aber vierstelligen Neubau-Wohnungsprojekte blockieren. Das gesamte Wohnungsbau-Programm des Berliner Senats hängt deswegen um etwa 10.000 Wohnungen zurück.
Weiterer Mangeln: die jeweils beauftragen Moderatoren sind gewerblich tätig und haben keinen Ethik-Kodex, der sie auf die Landesverfassung und Neutralität von Sachwaltern verpflichtet. So assistiert z.B. die Fa. Zebralog in Pankow im privaten wirtschftlichen Auftrag eines privaten Investors ein „Beteiligungsverfahren“ und hebelt dabei de facto die kommunale Planungshoheit aus. Dem Investor werden dabei unweigerlich massive Kostenvorteile erarbeitet, die als Folgekosten die öffentliche Hand belasten werden.
In einem anderen Fall wurde materielles Baurecht durch das Beteiligungsverfahren ignoriert, und ein MUF-Gebäude ohne nachbarschaftrechtliche Übereinstimmung direkt neben eine Einfamilienhaus-Reihe gesetzt.
Größter Mangel: in den meisten Beteiligungsverfahren dominiert das Fachwissen von Verwaltung und beauftragter Moderation, gegenüber dem oft laienhaften Wissensstand der Teilnehmemden. Wer kontrolliert das?
Grob verfassungswidrig: in ganzen sechs Jahren ist nicht einer einzigen politischen Partei in Berlin aufgefallen, dass die nach Grundgesetz und Landesverfassung vergesehenen Aufgaben der Presse in den Leitlinien für die Bürger_innenbeteiligung (LLBB) weder behandelt und noch geregelt sind.
Mögliche Akzeptanzprobleme von mein.berlin.de haben sicher auch mit der weitgehenden Enthaltsamkeit der Presse zu tun, die weder über die große Mannschaftsstärke der vielen beauftragen Moderationsagenturen, noch über deren Personalbudget verfügt, um allen Verfahren nachzugehen.

Das Land Berlin ist künftig gehalten, die Praxis der Partizipation grundlegend zu überprüfen und mit den Prinzipien von Demokratie, Gewaltenteilung und kommunaler Selbstverwaltung und kommunaler Planungshoheit neu abzugleichen.
Aufgrund der Vielzahl von Beteiligungsverfahren in Berlin und der hohen Kosten der Moderationen ist es auch nicht hinnehmbar, dass verfahrensleitende Stellen sich eine unkontrollierbare „Dialog-Sphäre“ erschaffen, die Stadt allein auf Basis von „Veröffentlichungs-Fiktionen“ vorplant und verändert.
Die Stadtgesellschaft, Planungsbetroffene, Begünstigte von Neubauvorhaben und alle Bürgerinnnen und Bürger haben Ansprüche auf Transparenz und Öffentlichkeit und auf die protokollierte Abwägung von Entscheidungen entsprechend den Abwägungsgeboten des Baugesetzbuches.
Angesichts des Klimawandels müssen Beteiligungsverfahren auch mit der notwendigen Fachkompetenz und ggf. mit Einspruchsbefugnissen von Naturschutz- und Umweltverbänden durchgeführt werden.