Freitag, 29. März 2024
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Der Zeppelin hebt in der Schaubühne ab

"Zeppelin" in der Schaubühne

Ein riesiges Drahtgerüst füllt die Bühne der Schaubühne aus. Die Lichtspots färben das Gebilde blau ein und werfen Schatten an die weißen Wände. Schattenspiele besorgen die Kulisse. Am Rande der Bühne haben sich die Schauspieler in einer Reihe den Zuschauern zugewandt. Mit starren Blicken begrüßen sie das Publikum, als der Vorhang sich hebt. Bunt, schrill und überzeichnet blicken sie ins Publikum und sorgen für eine erste Irritationen: „vis a vis“ mit der Wirklichkeit. Was ist wahr, was ist Show?

Mit Wortgewandtheit, Stimmaktrobatik und Bewegungssprache rollen, gehen und kriechen die Schauspieler über die Bühne. Sie umgarnen den Zeppelin, klettern auf die Stiegen, winden sich um die Stangen und verstricken sich gar in akrobatische Verrenkungen und Körperkrümmungen.

Mal versinken sie in der Gruppe, dann wieder rücken Einzelne ins Rampenlicht, erzählen mit ausdrucksvoller Mimik, großer Geste und Eloquenz aus ihrem Leben.

So lernt das Publikum einen nach dem anderen kennen, seine Lebens- und Leidensgeschichte, seine Verstrickungen und seine Wünsche und Hoffnungen.

Alle diese Wünsche sind für den Zuschauer leicht verständlich, denn es handelt sich um Wünsche vieler Menschen, besonders derer in unserer Zeit. Eine Arbeitslose die immer knapp mit dem Geld ist, ein Verliebter, der seine Angebetete nicht gewinnt, ein anderer, der in Konflikt mit dem Gesetz gerät. Alle diese Figuren haben eine traurige Komponente und dennoch wirken sie lustig, ja komisch durch ihr Aussehen, ihr Gebaren, ihre Rede. Auch die Kommunikation wirkt komisch, denn die Dialoge sind belanglos und alltäglich. Fetzen, Wortfetzen, Halbsätze im Raum … .

Über all diesem Geschehen thront der Zeppelin, wie ein Gott, übermächtig, allmächtig und unbegreiflich.

Die Akteure schauen mit Ehrfurcht, aber auch mit Sehnsucht zu dem seltsamen und unfassbaren Objekt hinauf.

Der Zeppelin konzentriert ihre Ängste und auch ihre Träume. Ist er vielleicht ein Ausweg, aus der Banalität und den alltäglichen Widrichkeiten des Seins? Jeder der Bühnencharaktere versucht entsprechend seiner Art mit dem unbekannten Etwas klarzukommen und sich ihm zu nähern. Der eine windet sich an dem Gestänge herum, der andere klettert mit akrobatischer Gelenkigkeit über die Stäbe des Gerüsts. Alle wollen sie mitfliegen, keiner will zurückbleiben, wenn das geheimnisvolle Fluggerät sich in die Lüfte erhebt. Es könnte ja in eine heile Welt fliegen, die frei von den Alltagsproblemen und Sorgen ist, zu einem Ort der Glückseligkeit.

„Zeppelin“ von Herbert Fritsch ist kein leicht verdauliches Stück, es fordert dem Zuschauer einiges an Nachdenken heraus, um von der offensichtlichen Komik zum puren Kern zu gelangen. Inmitten einer surrealistisch wirkenden Bühnenlandschaft, die von den experimentellen Tönen eines Synthesizers untermalt werden, leisten die Schauspieler gekonnt ihre Arbeit.

Die Charakterdarstellungen sind ebenso tragisch wie komisch. Die ausdrucksvollen Gesichter und die deutliche Körpersprache lassen den Zuschauer sofort eintauchen in die Situation und die Geschichte der Akteure.

Das Stück ist nicht nur tiefsinnig sondern auch entspannend – und ein sinnliches Vergnügen.

Herbert Fritsch, 1951 in Augsburg geboren, arbeite 17 Jahre lang bei der Volksbühne Berlin und zählt heute zu den Castorf Schauspielern. Neben seiner Schauspieltätigkeit arbeitete er auch als Medienkünstler und seit 2007 auch als Regisseur. Mit seiner Inszenierung „Zeppelin“ leitet Herbert Fritsch seine zukünftige Arbeit an der Schaubühhne Berlin ein.

Die Wahl der Schauspieler bei „Zeppelin“ beruht teilweise auf eine langjährige Theater-Zusammenarbeit. Bastian Reiber zum Beispiel lernte Fritsch schon während seines Studiums am Neuen Theater Halle kennen. In der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz arbeitete er und Axel Wandke bei „Die (s)panische Fliege“ im Jahr 2011 mit ihm zusammen. Ruth Rosenfeld war auch Schauspielerin and der Volksbühne, auch sie kennt ihren Schauspielerkollegen Herbert Fritsch seit vielen Jahren. Florian Anderer kennt den Regisseur seit 2011, als er bei „Diener zweier Herren“ am Mecklenburgischen Staattheater Schwerin mitspielte, bei dem Herbert Fritsch die Regie führte. Neu ist die Zusammenarbeit mit Jule Böhme, die für ihre schauspielerische Leistung schon viele Auszeichnungen erhielt, darunter 2007 den Preis als Beste Schuspielerin beim Filmfestival Türkei/Deutschland für ihre Rolle in „Gefangene“.


Zeppelin – Theaterstück von Herbert Fritsch
frei nach Texten von Ödön von Horváth

Mit: Florian Anderer, Jule Böwe, Werner Eng, Ingo Günther, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Alina Stiegler, Axel Wandtke

Sonntag, 01. Oktober 2017, 20 Uhr | Tickets an der Abendkasse
Weitere Vorstellungen: 2. und 3. 10. 2017, 20 Uhr | 25. bis 28. 11.2017, 20 Uhr

Schaubühne am Lehniner Platz | Kurfürstendamm 153 | 10709 Berlin | www.schaubuehne.de

a/m