Freitag, 29. März 2024
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Wieviel Substanz hat der Juso-Protest gegen eine große Koalition in Berlin?

Franziska Giffey

Von Michael Springer

Das Wahlergebnis der Wiederholungswahl vom 12. Februar 2023 hat die politische Landschaft verändert. Die Partei DIE LINKE hat dabei ihre Funktion als Zünglein an der Waage verloren, und stellt auch keinen einzigen Bürgermeister in den 12 Bezirken. Die Rathäuser und Amtssessel in Pankow und Lichtenberg werden von Sören Benn und Michael Grunst (beide DIE Linke) abgegeben. Ein historisch bemerkenswertes Berliner Wahlergebnis, das für viele überraschend war.
Im seinem Heimatbezirk Spandau hat vor allem Raed Saleh, Vorsitzender der SPD in Berlin — und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus — eine dramatische „Klatsche“ erhalten.

Damit bekommt Berlin eine völlig neue politische Tektonik. Der Schwenk von Franziska Giffey (SPD) zur CDU war die letzte Option, um für die SPD im Land Berlin mitregieren zu können.

Juso-Protest und veränderte Realitäten in Berlin

Bei den traditionell weit links aufgestellten Jusos in Berlin brach sofort ein Proteststurm aus, eine große Kampagne wurde angekündigt: „NoGroKo – Berlin geht nur mit links“.
Das Ergebnis der Kampagne: bisher votierten die Delegierten von drei SPD-Kreisverbände gegen Schwarz-Rot.
Auf Betreiben von Fransziska Giffey (SPD) und Beschluß des Berliner SPD-Parteivorstandes befinden sich nun SPD und CDU in Koalitionsverhandlungen, die offenbar klimatisch konstruktiv verlaufen.

Inzwischen konkretisieren sich auch die neuen politischen Machtverhältnisse in den Berliner Bezirken:

  • Die erste Jamaika-Zählgemeinschaft entsteht in Pankow.
  • In Lichtenberg kommt eine Kenia-Zählgemeinschaft zustande.
  • In Spandau übernimmt Schwarz-Grün.
  • Im wirtschaftlich starken Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wird über eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft verhandelt. Rot-Grün wurde an der Otto-Suhr-Allee abgewählt.
  • Ob eine grün-rot-rote Zählgemeinschaft in Tempelhof-Schöneberg zukunftstauglich ist, und für drei Jahre hält, ist angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse in ganz Berlin fraglich.

Inzwischen hat sich nach der SPD-Neukölln ein weiterer SPD-Kreisverband gegen eine Koalition mit der CDU ausgesprochen. Die SPD-Kreisdelegiertenversammlung in Tempelhof-Schöneberg votierte mit großer Mehrheit für den entsprechenden Antrag der Jusos. 71 Delegierte stimmten dafür, 30 Stimmen waren dagegen und es gab 5 Enthaltungen. Davor hatte sich der SPD-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf gegen ein Bündnis mit der CDU gewandt. Die Abstimmungen der anderen neun Berliner Kreisverbände der SPD werden noch erwartet.
Ein Warnsschuß für die Jusos: der Kreisverband der SPD-Pankow spracht sich mit Mehrheit sich für Verhandlungen mit der CDU aus.

Juso-Protest ohne realpolitische Zukunftsvision für Berlin?

Bei den Jusos Berlin votierte eine große Mehrheit der etwa 80 Delegierten einer Jusos-Konferenz in der SPD-Bundeszentrale in Berlin gegen eine Zusammenarbeit mit der CDU.
Vor wenigen Tagen noch forderten sie eine die Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken — eine Zusammenarbeit mit der CDU wurde grundsätzlich abgelehnt.

Ob das auch im Sinne der jungen SPD-Wählerinnen und Wähler ist, muß hinterfragt werden.Die Partei DIE LINKE ist faktisch in Berlin „zusammengeklappt.“ Sie stellt keine Bürgermeister mehr und fällt damit als Koalitionspartner aus.

Die Jusos Berlin müssen sich nun viele Fragen stellen:

  • Welche politischen Mehrheiten sind für die SPD in Berlin überhaupt noch praktikabel?
  • Welche Sachfragen, müssen in Berlin vordringlich verhandelt und gestaltet werden?
  • Wieso haben die Jusos Berlin keine konkrete Zukunftsvision für Berlin?
  • Was sind Ziele der Jusos für die digital-mediale Gesellschaft, die Algorithmen und AI-Systeme nutzt?
  • Wie sollen die normalen SPD-Mitglieder über den künftigen im April vorliegenden Koalitionsvertrag abstimmen?
  • Wieso hat man sich der Chance begeben, in den Koalitionsverhandlungen selbst Sachthemen im interesse der jungen Wähler und Wählerinnen zu verhandeln?

Offenbar müssen ie Jusos Berlin nun selbst um ihre Zukunftsfähigkeit bangen! — Denn die Metropole Berlin und die Stadtgesellschaft können nicht nach „ideologisch-politischen Geschmackfragen“ ausgerichtet und regiert werden.

Realitätstest: das SPD-Mitglieder-Votum kommt Ende April

Die laufenden Koalitionsverhandlungen werden Ende März abgeschlossen sein. Für den 21. April ist dazu ein SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag geplant. Die rund 18.500 Sozialdemokraten in der Hauptstadt müssen sich dann fragen, ob ihre Jugendorganisaton den aktuellen Herausforderungen für Berlin überhaupt gewachsen sind?

Franziska Giffey hofft noch darauf, die SPD-Kritiker an den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen innerhalb der SPD noch überzeugen zu können. Eine Mehrheit von wenigsten 13.500 Parteimitgliedern wird erwartbar im Mitgliedervotum nach realpolitischen Kriterien entscheiden.
Die Jusos Berlin müssen spätestens dann ihre politischen Narrative und Forderungen mit einer neuen Berliner Realität abgleichen.
Die überraschende Schwäche der Linkspartei zeigt, wohin das Fehlen konkreter umsetzbarer Visionen und bernaher realpolitischer Sachthemen führt.


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